Wer sind die Stakeholder der öffentlichen Beschaffung?
Die Integration von Nachhaltigkeit in der Vergabe hängt nicht nur von öffentlichen Einkäufern ab. Der Beschaffungsprozess im öffentlichen Sektor ist von Auftraggeber zu Auftraggeber unterschiedlich. Darüber hinaus ist er ein Zusammenspiel vieler verschiedener Faktoren. Um diese genauer zu identifizieren, hat die Universität der Bundeswehr München eine Stakeholderanalyse nach dem Vorbild von Varvasovszky und Brugha (2000) durchgeführt. Diese schreibt folgenden Ablauf vor:
Im ersten Schritt erfolgt die Identifikation der Stakeholder durch eine Literaturanalyse. Anschließend werden bei der Datenerhebung Interviews mit den zuvor definierten Stakeholdern durchgeführt. Die Auswertung der Interviewergebnisse sowie das Herausarbeiten der Einkaufsszenarien mit den verschiedenen Aufgabenverteilungen folgt im nächsten Schritt: der Datenanalyse. Bei der nachfolgenden Ergebnispräsentation werden zum einen die einzelnen beteiligten Stakeholder inklusive ihrer Bedeutung für den Prozess abgebildet, zum anderen werden die verschiedenen Varianten eines Zusammenspiels aller Stakeholder dargestellt. Im fünften und letzten Schritt, der Ergebnisverwendung, wird schließlich eine Strategie zur Integration von Nachhaltigkeitskriterien in die Vergabe entwickelt, welche an die jeweiligen Einflussmöglichkeiten der Stakeholder angepasst wird.
Im Rahmen dieser Stakeholderanalyse konnten Informationen zu verschiedenen Konstellationen im Beschaffungsprozess erhoben werden – einerseits mithilfe der wissenschaftlichen Literatur und andererseits anhand der durchgeführten Interviews. Folgende Stakeholder wurden dadurch identifiziert: Gesetzgeber, Bedarfsträger, Beschaffungs- und Vergabestellen, Lieferanten, Rechnungshöfe, Zertifizierungsstellen bzw. -anbieter sowie Verbände. Jede dieser Positionen wurde definiert, ebenso wie der Einfluss, den jeder einzelne Stakeholder für die öffentliche Beschaffung hat. Zusätzlich wurde zu jeder Position noch ein Beispiel genannt.
Position | Definition | Einfluss | Beispiel |
---|---|---|---|
Gesetzgeber | Von der Verfassung bestimmtes Staatsorgan, das Gesetze erlässt | Legt Gesetze bzgl. Nachhaltigkeit fest | Bundesregierung in Zusammenarbeit mit UBA |
Bedarfsträger | Stelle, die Stoffe, Waren, Teile oder Dienstleistungen benötigt und verbraucht bzw. bei der Abfallstoffe anfallen | Hat meist größten Einfluss auf die Leistungsbeschreibung | Bedarfsträger verschiedener Kommunen und Länder (dürfen den Empfehlungen der zentralen Vergabestelle folgen, müssen aber nicht) |
Beschaffungs-/ Vergabestelle | Stelle, die beim öffentlichen Auftraggeber Aufträge für Bauvorhaben, Lieferleistungen und Dienstleistungen ausschreibt und ein Vergabeverfahren durchführt | Hat meist Einfluss auf die Leistungsbeschreibung, legt Zuschlagskriterien und Vertragsbedingungen fest | Einkauf der Finanzbehörde Hamburg |
Vertragsmanagement | Das Vertragsmanagement verwaltet und optimiert die Vertragsbeziehungen einer Organisation | Hat Einfluss auf die Vertragsbedingungen sowie alle in den Vertrag aufgenommenen zusätzlichen Unterlagen | Vertragsmanagement der Deutschen Rentenversicherung |
Lieferanten | Organisation, die bestellte Waren liefert | Beeinflusst Nachhaltigkeit der angebotenen Ware | Tana Chemie |
Rechnungshöfe | Unabhängige, externe Rechnungsprüfungsstelle, die die ordnungsgemäße Erhebung und Verwendung der Mittel prüft | Könnte die Beschaffungen der ÖAG´s auf Nachhaltigkeit prüfen | Prüfung der Max-Planck-Institute |
Zertifizierungsstelle/ Anbieter | Organisation, die Zertifizierungen in bestimmten Bereichen durchführt und bei Bestehen ein entsprechendes Zeugnis ausstellt | Legt die Nachhaltigkeits-anforderungen an Zertifizierungen und Label fest | Ecological Certification Institute |
Verbände | Größerer Zusammenschluss mehrerer kleinerer Vereinigungen oder einzelner Personen zur Durchsetzung gemeinsamer Interessen | Kann Empfehlungen rausgeben | Liste RK der deutschen Gesellschaft für das Badewesen e.V. |
Andere öffentliche Auftraggeber | Öffentliche Auftraggeber sind im Sinne des § 99 GWB an vergaberechtliche Vorschriften gebunden, also insbesondere die Aufträge öffentlich ausschreiben müssen | Können nach Erfahrungswerten im Umgang mit Nachhaltigkeit befragt werden | Bundesanstalt für Immobilienaufgaben |
Der Ablauf des Beschaffungsprozesses
Der Beschaffungsprozess beginnt nach der UfAB (Unterlage für Ausschreibung und Bewertung von IT-Leistungen) mit der Bedarfsermittlung bzw. -feststellung. Diese kann bei der strategischen Beschaffung oder dem Vertragsmanagement erfolgen (wenn das Vertragsmanagement beispielsweise auslaufende oder zu erneuernde Verträge überprüft), die sich dann mit dem Bedarfsträger in Verbindung setzen oder auch direkt vom Bedarfsträger ausgelöst werden. Das Vertragsmanagement prüft dabei beispielsweise auslaufende und/oder zu erneuernde Verträge. Beispiele für einen Bedarfsträger – exemplarisch für die Reinigung – sind der Hausmeister eines Gebäudes oder auch die Fachabteilung für Reinigung der jeweiligen Organisation oder der zuständigen Behörde, welche sich um Grundstücke und Immobilien kümmert (wie z. B. die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA)). Jeder der oben genannten Stakeholder hat gemäß der durchgeführten Analyse die Möglichkeit, sich innerhalb des jeweiligen rechtlichen Rahmens weiter in Richtung Nachhaltigkeit zu entwickeln. Den größten Einfluss auf die Leistungsbeschreibung, und damit die Möglichkeit, Nachhaltigkeitskriterien zu integrieren, hat womöglich der Bedarfsträger.
Planung der Beschaffung
Die Planung der Beschaffung impliziert unter anderem eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung, die Prüfung besonderer Beschaffungsvarianten sowie eine Beschaffungskonzeption. Sie kann sowohl beim Bedarfsträger als auch beim Einkäufer bzw. der Beschaffungs- und Vergabestelle erfolgen, wobei diese Positionen vereint oder aber getrennt voneinander sein können. Sind beide Positionen vorhanden, übernimmt der Einkauf die Planung der Beschaffung. Dadurch wird die Vergabestelle erst bei der Vorbereitung des Vergabeverfahrens tätig. Zu diesem Prozessschritt können Losbildung, Wahl der Verfahrensart, besondere Methoden und Instrumente, die Erstellung der Vergabeunterlagen sowie die Entscheidung zur Durchführung gehören. Bei der Gestaltung der Leistungsbeschreibung haben auch der Einkauf und die Beschaffungs- bzw. Vergabestelle zumindest ein Mitspracherecht. Außerdem legen sie in der Regel die Zuschlagskriterien sowie die Vertragsbedingungen fest.
Erstellung der Ausschreibung
Bei der Erstellung der Ausschreibung hat der Einkauf verschiedene Orientierungsmöglichkeiten, beispielsweise Verbände, welche produktspezifische Empfehlungen für die Beschaffung geben können. Exemplarisch kann an dieser Stelle die deutsche Gesellschaft für Badewesen e. V. genannt werden, die Bäderbetriebe beim Kauf von Reinigungsmitteln unterstützt, indem sie die „Liste RE“ und die „Liste RK“ veröffentlicht. Erstere ist eine „Liste geprüfter Reinigungsmittel für Beckenkörper und Bauteile aus Edelstahl in Schwimmbädern“, wohingegen Letztere eine „Liste geprüfter Reinigungsmittel für keramische Beläge in Schwimmbädern“ ist.
Eine weitere Orientierungsmöglichkeit stellen diverse Zertifizierungsstellen bzw. -anbieter dar, wie zum Beispiel das Ecological Certification Institute. Die Verbände und Zertifizierungsstellen unterstützen den Einkauf, indem sie Empfehlungen aussprechen und die Nachhaltigkeitsanforderungen an Zertifizierungen und Label festlegen. Im Falle einer Erhöhung dieser Anforderungen kann auch der Markt positiv beeinflusst werden.
Durchführung des Vergabeverfahrens
Im Anschluss an die Erstellung der Ausschreibung folgt im nächsten Schritt die Durchführung des Vergabeverfahrens, welche mit den Einleitungs- und Bewerbungsverfahren beginnt. Die Beschaffungs- bzw. Vergabestelle tritt durch die Veröffentlichung der Ausschreibung an potenzielle Lieferanten heran. Nachfolgende Schritte sind die Prüfung und Wertung der Teilnehmeranträge, die Angebotsphase, die Prüfung und Wertung der Angebote, die Verhandlung sowie die Zuschlagsphase. Daher ist es Sache der Lieferanten zu bestimmen, ob der Markt Lieferungen und Leistungen mit dem gewünschten Grad an Nachhaltigkeit erbringt. Doch auch, wenn nachhaltiges Angebot vorhanden ist, können öffentliche Einkäufer ihre Aufträge nicht willkürlich ausschreiben und vergeben. Grund dafür sind die möglichen Prüfungen der öffentlichen Auftraggeber durch den jeweiligen Rechnungshof.
Fazit: Stakeholder in der öffentlichen Beschaffung
Über allen bisher genannten Positionen bzw. Stakeholdern steht natürlich noch der Gesetzgeber. Dieser hat die Möglichkeit, durch die Festlegung von nachhaltigkeitsnahen Gesetzen Einfluss auf die öffentliche Beschaffung zu nehmen. Aktuell steht die Einführung eines Lieferkettengesetzes zur Debatte.
Abschließend lässt sich festhalten, dass das Zusammenspiel der verschiedenen Stakeholder einerseits viele Chancen birgt, die öffentliche Beschaffung nachhaltiger zu gestalten. Andererseits können die vielen unterschiedlichen Positionen diese Entwicklung auch erschweren. Zusammenarbeit, Kommunikation und Transparenz innerhalb der Lieferkette sind die ausschlaggebenden Faktoren, um Fortschritte bei der nachhaltigen Vergabe öffentlicher Aufträge zu erzielen.
Quellen:
Deutsche Gesellschaft für das Badewesen e. V. Liste RK. https://www.baederportal.com/reinigungsmitteldatenbank/ (Abgerufen am 01.03.2021)
Deutscher Bundestag. Gesetzgebung. https://www.bundestag.de/parlament/aufgaben/gesetzgebung_neu (Abgerufen am 01.03.2021)
Deutsches Verbände Forum. Was sind Verbände? https://www.verbaende.com/hintergruende/was_sind_verbaende.php (Abgerufen am 01.03.2021)
Europäische Union. Europäischer Rechnungshof. https://europa.eu/european-union/about-eu/institutions-bodies/european-court-auditors_de (Abgerufen am 01.03.2021)
Varvasovszky, Z. Brugha, R. (2000). How to do (or not to do)… A stakeholder analysis. In: Health, Policy and Planning, 15, S. 338-345.