Öffentliche Beschaffung: Worauf öffentliche Einkäufer achten
Der ökologische Fußabdruck einer Organisation gewinnt immer mehr an Bedeutung. Dementsprechend rücken auch die öffentliche Beschaffung und die Entscheidungsprozesse bei der Bieterauswahl verstärkt in den Fokus. Doch welche Verfahrensweisen werden hier von öffentlichen Einkäufern genutzt? Ändert sich dabei der Arbeitsaufwand für die Beschaffer? Und was gilt es zu beachten?
Der Frage, welche Verfahrensweisen von öffentlichen Beschaffern genutzt werden und wie dort Nachhaltigkeit zum Einsatz kommt, sind Igarashi, de Boer und Michelsen nachgegangen. Im Jahr 2015 haben sie eine Untersuchung veröffentlicht, in der sie einen Überblick über die verschiedenen Verfahrensweisen der öffentlichen Auftraggeber in Norwegen liefern [1].
Verfahrensweisen öffentlicher Einkäufer
Für die Untersuchung haben Igarashi, de Boer und Michelsen 41 Vergabeverfahren von norwegischen öffentlichen Auftraggebern zur Informations- und Kommunikationstechnik analysiert. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt dabei vor allem auf den verschiedenen Arten der ökologischen Kriterien sowie deren Einsatz in den einzelnen Verfahrensstufen. Hier wurde zwischen vier Verfahrensstufen unterschieden:
- Verfahrensstufe der Bedarfsspezifikation (Leistungsbeschreibung)
- Verfahrensstufe der Überprüfung der Bietereignung
- Verfahrensstufe der Zuschlagserteilung
- Verfahrensstufe zum Vertragsabschluss und zu den Ausführungsbedingungen
Daraufhin haben Igarashi, de Boer und Michelsen versucht, für jedes der 41 untersuchten Vergabeverfahren festzustellen, auf welcher der 4 Verfahrensstufen Aspekte der ökologischen Nachhaltigkeit in die Auftragsvergabe mit eingeflossen sind.
Allerdings blieb die IV. Verfahrensstufe dabei unberücksichtigt, da zum Zeitpunkt der IV. Verfahrensstufe bereits die Entscheidung für einen Bieter getroffen ist. Dementsprechend kann die IV. Verfahrensstufe auch nicht mehr als Teil des Auswahlprozesses gesehen werden.
Ist ökologische Nachhaltigkeit eine Frage der Verfahrensstufe?
Während der weitergehenden Untersuchung, wie und auf welcher Verfahrensstufe ökologische Kriterien berücksichtigt wurden, ließen sich 4 unterschiedliche Fallgruppen herauskristallisieren. Jede dieser Fallgruppen hat eine andere Entscheidung beim Umgang mit Nachhaltigkeit bei der Beschaffung getroffen.
Wie ökologische Nachhaltigkeit angewendet wurde
Keine Nachhaltigkeitskriterien
Bei der 1. Fallgruppe wurden keine Kriterien zur ökologischen Nachhaltigkeit berücksichtigt. Hier konnten auf keiner der untersuchten Verfahrensstufen Nachhaltigkeitsanforderungen nachgewiesen werden.
Dieser Gruppe ließen sich insgesamt 10 der 41 untersuchten Vergabeverfahren zuordnen. Damit sind bei rund 24 % der untersuchten Fälle keinerlei ökologische Nachhaltigkeitsaspekte in das Vergabeverfahren mit eingeflossen.
Nachhaltigkeit bei der Bedarfsspezifikation
Bei der 2. Fallgruppe wurden ökologische Aspekte insbesondere bei der I. Verfahrensstufe berücksichtigt. Hier wurde also vor allem bei der Bedarfsspezifikation beziehungsweise bei der Leistungsbeschreibung auf Nachhaltigkeit geachtet.
In diese Fallgruppe lassen sich 7 der 41 Vergabeverfahren einordnen. Das entspricht etwa 17 % der untersuchten Verfahren.
Nachhaltigkeitskriterien bei der Bedarfsspezifikation und Bietereignung
Der 3. Fallgruppe wurden 3 Möglichkeiten zugeordnet. Entweder wurden ökologische Aspekte in der I. Verfahrensstufe – also der Bedarfsspezifikation – berücksichtigt oder sie wurden in der II. Verfahrensstufe – der Überprüfung der Bietereignung – abgefragt oder es gab eine Kombination der beiden Verfahrensstufen. So wurden von dieser Fallgruppe nicht nur ökologische Anforderungen an den Auftragsgegenstand, sondern auch an die Eignung der Bieter gestellt.
Dieser Fallgruppe lassen sich 9 Vergabeverfahren, also rund 22 % der untersuchten Verfahren, zuordnen.
Nachhaltigkeit bei der Bedarfsspezifikation, Bietereignung und Zuschlagserteilung
In der 4. Fallgruppe sind Verfahren zusammengefasst, bei denen die ökologischen Anforderungen sowohl in der I. als auch in der II. und/oder III. Verfahrensstufe berücksichtigt wurden.
Hier sind ökologische Anforderungen also ebenso in der Beschreibung des Auftragsgegenstandes wie bei der Prüfung der Bietereignung berücksichtigt und gegebenenfalls kamen die ökologischen Kriterien sogar bei der Zuschlagsentscheidung zum Tragen. Unter diesem Aspekt lassen sich dieser Fallgruppe insgesamt 4 Verfahren zuordnen.
Allerdings wurden in diese 4. Gruppe auch Verfahren mit eingerechnet, die eine Kombination aus ökologisch-nachhaltigen Anforderungen in der I. und III. Verfahrensstufe – also der Bedarfsspezifikation und der Zuschlagserteilung – berücksichtigt haben. Das trifft auf 7 der 41 untersuchten Verfahren zu.
Darüber hinaus zählen auch Verfahren zur 4. Fallgruppe, die ausschließlich in der III. Verfahrensstufe, der Zuschlagserteilung, ökologische Kriterien angesetzt haben. Dies ist bei 3 der untersuchten Verfahren der Fall.
Somit beinhaltet die 4. Fallgruppe rund 37 % der untersuchten Verfahren und damit den größten Teil der Fälle.
Welche Entscheidungsmuster gibt es bei der nachhaltigen Beschaffung?
Aus diesen 4 Fallgruppen lassen sich 4 unterschiedliche Verhaltens- und Entscheidungsmuster ableiten.
So können sich öffentliche Auftraggeber beispielsweise dafür entscheiden, ökologische Kriterien komplett zu ignorieren. Dies kann in bestimmten Fällen sogar sinnvoll sein. Beispielsweise dann, wenn der Auftragsgegenstand kaum oder keinen Einfluss auf den ökologischen Fußabdruck der Institution hat.
Öffentliche Auftraggeber können sich jedoch auch ganz bewusst dafür entscheiden, ökologische Anforderungen in den 4 unterschiedlichen Verfahrensstufen fest zu verankern.
Ein erstes Verhaltensmuster, das sich aus den untersuchten Verfahren ableiten lässt, ist beispielsweise, dass die öffentlichen Auftraggeber ökologische Anforderungen bei der genaueren Spezifikation des Auftragsgegenstandes in bestehende Anforderungskataloge einbeziehen. Damit bleiben die internen Entscheidungsprozesse entlang des Beschaffungsprozesses weitgehend unverändert. Das bedeutet für den öffentlichen Auftraggeber, dass der Aufwand für die Umsetzung des Verfahrens gleich bleibt und die Spezifikation des Auftragsgegenstandes Sache des Verbrauchers bzw. Bedarfsträgers bleibt. Außerdem ergeben sich auch keine größeren prozessualen Veränderungen bei der Entscheidungsfindung.
Werden von den Bietern ökologische Mindestanforderungen eingefordert, ergibt sich daraus ein weiteres Entscheidungsmuster. Beispielsweise werden Bieter, die diese Anforderungen nicht nachweisen können, vom weiteren Verfahren ausgeschlossen. An dieser Stelle wird dann auch eine Aufwandsverlagerung vom Bedarfsträger auf die Vergabestelle deutlich.
Außerdem können im Verlauf des Verfahrens verschiedene ökologische Anforderungen mit unterschiedlichen Verfahrensstufen kombiniert werden. In solchen Fällen sollten im besten Fall die Verbraucher bzw. Bedarfsträger bei der Bedarfsspezifikation und die Beschaffer bei Prüfung der Bietereignung sowie bei der Berücksichtigung ökologischer Zuschlagskriterien eng zusammenarbeiten.
Welche ökologischen Anforderungen werden auf welcher Verfahrensstufe gestellt?
Bei der Untersuchung der 41 Vergabeverfahren konnten Igarashi, de Boer und Michelsen insgesamt 43 verschiedene ökologische Anforderungen erkennen und haben daraufhin analysiert, auf welcher Verfahrensstufe welche Anforderungen wie oft verlangt wurden.
Die 3 Arten von ökologischen Anforderungen
Die 43 verschiedenen Anforderungen haben Igarashi, de Boer und Michelsen bei der Untersuchung in 3 Gruppen aufgeteilt:
- ökologische Anforderungen an die Organisation der Bieter
- ökologische Anforderungen an den Auftragsgegenstand
- ökologische Anforderungen hinsichtlich der Verpackung
Zur Gruppe 1, den ökologischen Anforderungen an die Organisation der Bieter, gehören insbesondere Umweltmaßnahmen des Managements, Umweltstrategien, Umweltprogramme sowie umweltbezogene Trainings. Diese Anforderungen werden fast ausschließlich zur Überprüfung der Bieter eingesetzt. Lediglich bestehende Umweltmanagement-Systeme kommen vereinzelt auch bei der Bedarfsspezifikation und der Zuschlagserteilung zum Tragen.
In der Gruppe 2, den ökologischen Anforderungen an den Auftragsgegenstand, wurden vor allem der Energieverbrauch, mögliche Recyclingsysteme, entstehender Lärm sowie die Beachtung von Ecolabels genannt. Diese Anforderungen verteilen sich auf verschiedene Verfahrensstufen. So sind die Fragen nach Recyclingsystemen, Energieeinsparungen und Lärmschutz hauptsächlich bei der Bedarfsspezifikation relevant, können aber auch bei der Zuschlagserteilung ein Kriterium sein. Bei der Überprüfung der Bietereignung oder beim Vertragsgegenstand kommen die ökologischen Kriterien zum Auftragsgegenstand jedoch nur vereinzelt zum Einsatz.
Bei der Gruppe ), den ökologischen Anforderungen hinsichtlich der Verpackung, ging es insbesondere um Verpackungs-Recyclingsysteme sowie Wiederverwendungssysteme. Diese Anforderungen werden sehr gleichmäßig in allen 4 Verfahrensstufen gestellt.
Handlungsempfehlungen für die Bieterauswahl
Aus den Ergebnissen der Untersuchung lassen sich folgende Handlungsempfehlungen ableiten:
- Die 4 verschiedenen Strategien bringen unterschiedlich große Bearbeitungsaufwände mit sich. Dabei hängt es stark vom ökologischen Fußabdruck des Verfahrens ab, ob sich die jeweilige Strategie lohnt.
- Um die Arbeit der Beschaffer zu erleichtern, kann es sinnvoll sein, einen Kriterienkatalog anzulegen. Dieser kann Empfehlungen dazu beinhalten, in welchen Verfahren und auf welcher Verfahrensstufe welche Kriterien am besten integriert werden.
- Bei jedem Einkauf sollte noch einmal im Einzelfall geprüft werden, ob sich die empfohlenen Strategien und Kriterien jeweils realisieren lassen.
- Da sich je nach Verfahrensstufe die Verantwortlichkeiten verschieben können, ist es für eine erfolgreiche Beschaffung von großer Bedeutung, dass sich die verschiedenen Verantwortlichen gut miteinander austauschen. Außerdem muss die Integration der ausgewählten Kriterien mit den jeweiligen Verantwortlichen der entsprechenden Verfahrensstufe abgeklärt werden.
[1] Igarashi, M., de Boer, L., Michelsen, O. (2015). Investigating the anatomy of supplier selection in green public procurement. In: Journal of cleaner production, 108, S. 442-450.