Herr Scholz im Interview zum Thema Nachhaltige Beschaffung bei der Stadt Ludwigsburg
Die Stadt Ludwigsburg gilt als Vorreiter in nachhaltiger Stadtentwicklung. Die Vergabe Insider Redaktion hatte die Gelegenheit, im Interview mit Patrick Scholz zu erfahren, wie dieses Prinzip in die praktische Anwendung kommt. Als Leiter der Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung erläutert er, wie die Stadt Ludwigsburg Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeitskriterien in den öffentlichen Einkaufsprozess integriert.
Vergabe Insider:
Was bedeutet das Thema „Nachhaltigkeit“ für die Stadt Ludwigsburg?
Patrick Scholz:
Die Stadt Ludwigsburg hat sich in ihren Grundsätzen dem Prinzip der Generationengerechtigkeit verschrieben. Das bedeutet, dass zukünftigen Generationen mindestens die gleichen Chancen und Ressourcen zur Verfügung stehen sollen, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen, wie uns heute. Um dieses Ziel zu erreichen, orientiert sich Ludwigsburg an einem nachhaltigen Stadtentwicklungskonzept. Dieses Leitbild für eine nachhaltige Stadtentwicklung ist bereits seit mehr als zehn Jahren in der Stadt verankert.
Vergabe Insider:
Was war der Treiber für die Stadt Ludwigsburg, sich auf eine nachhaltige öffentliche Beschaffung zu fokussieren und hierfür eine Kompetenzstelle einzurichten?
Patrick Scholz:
Ludwigsburg setzt traditionell auf eine nachhaltige Stadtentwicklung. Bereits seit 10 Jahren ist sie als „Fairtrade Stadt“ zertifiziert und seit 2014 gibt es eine Dienstanweisung, die ein Verbot für Produkte aus ausbeuterischer Kinderarbeit beinhaltet. Außerdem versuchen wir in Ludwigsburg die Probleme der Zukunft nicht alleine im stillen Kämmerlein zu lösen, sondern setzen vor allem auf Bürgerbeteiligungskonzepte. Aus solchen Formaten stammt unter anderem auch der Impuls, die Faire Beschaffung zu einer ganzheitlichen Nachhaltigen Beschaffung auszubauen.
Außerdem sucht die Stadt Ludwigsburg aktiv den Austausch mit Unternehmen im Landkreis, um gemeinsam an Zukunftsthemen zu arbeiten. So wurde zum Beispiel 2017 eine Veranstaltung organisiert, in der es um die Frage ging, wie sich Unternehmen an einer Kreislaufwirtschaft ausrichten können. Eine Erkenntnis daraus war, dass den Unternehmen bisher ein eindeutiges Signal zur Nachfrage solcher Produkte fehlt. Die öffentliche Beschaffung kann hier ihr Beschaffungsvolumen und ihre Vorbildfunktion noch deutlich stärker nutzen, um die Entwicklung entsprechender Produkte zu fördern.
Daraufhin wurde 2017 eine Projektgruppe ins Leben gerufen, die das Thema Nachhaltige Beschaffung für Ludwigsburg strategisch aufgearbeitet hat. Die Projektgruppe hat unter anderem eine neue Dienstanweisung für Nachhaltige Beschaffung aufgesetzt. Außerdem wurde die Entscheidung getroffen, eine eigene Stelle dafür in Ludwigsburg einzusetzen, um die Umstellung für die Bedarfsträger zu vereinfachen und eine langfristige und flächendeckende Einhaltung und Weiterentwicklung der Strategie zu gewährleisten.
Vergabe Insider:
Wie sieht Ihre Arbeit auf der Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung aus? Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit Bedarfsträgern?
Patrick Scholz:
Ludwigsburg verfolgt eine eher dezentral organisierte Beschaffungsstruktur; Die Fachämter sind für ihre Beschaffungen grundsätzlich eigenverantwortlich. Gleichzeitig haben wir auch ein zentrales Beschaffungs- und Vergabeteam. Innerhalb dieses Teams gibt es seit Anfang 2019 auch die Kompetenzstelle für Nachhaltige Beschaffung. Als zentraler Ansprechpartner für alle Beschaffungen der Stadtverwaltung bündelt diese Stelle zentrale Kompetenzen zu Vergabe und Nachhaltigkeit, begleitet Vergabeverfahren von der Bedarfsanalyse und Markterkundung bis zur Erstellung der Unterlagen. Dabei gilt es, die Bedarfsstellen kontinuierlich für die Notwendigkeit einer Nachhaltigen Beschaffung zu sensibilisieren und Bedenken hinsichtlich Aufwand, Kosten und Bietermangel in diesem Zusammenhang auszuräumen. Das sind die Aufgaben, die aktuell in meinen Verantwortungsbereich fallen.
Neben der Beratung von Bedarfsträgern und der konkreten Arbeit an Beschaffungs- und Vergabeverfahren, versuche ich außerdem immer wieder Projekte, Produktvorstellungen und Workshops mit unseren Bedarfsstellen zu organisieren, um auf Produktneuheiten aufmerksam zu machen und Vorbehalte gegenüber nachhaltigen Produkten entgegenzuwirken.
Um den Mehraufwand für die Bedarfsstellen möglichst gering zu halten, setzt unser Team verstärkt auf strategische und digitale Prozessoptimierung, die die Beschaffung von nachhaltigen Produkten vereinfacht. Seit der Einführung unserer digitalen Beschaffungsplattform DIWA, können die Bedarfsstellen auf viele Sortimente zentral zugreifen und nachhaltige Produkte noch schneller identifizieren und bestellen.
Vergabe Insider:
Wie schlägt sich Nachhaltigkeit in Ludwigsburg konkret im Vergabeverfahren nieder?
Patrick Scholz:
Das ist je nach Bedarf sehr unterschiedlich. Zunächst muss geprüft werden, ob und inwieweit Nachhaltigkeit in einem Vergabeverfahren berücksichtigt werden kann. Das beginnt bereits bei der Bedarfsanalyse. Dabei wird auch geprüft, ob alternativ auch Miete oder die Umverteilung von Ressourcen sinnvoll sein können. Im weiteren Verlauf bietet vor allem die Markterkundung viel Potential, um Nachhaltigkeit und Zielvorstellungen in den Markt zu kommunizieren. Nach der Markterkundung fließen die Ergebnisse in die Vergabeunterlagen ein. Um den Markt mit unseren Anforderungen nicht zu überfordern, versuchen wir, sowohl mit konkreten Nachhaltigkeits- als auch mit Wertungskriterien zu arbeiten. Unsere Dienstanweisung gibt vor, dass Nachhaltigkeitskriterien grundsätzlich mit mindestens 20 % in die Angebotsbewertung einfließen.
Vergabe Insider:
Inwiefern stellen Sie sicher, dass geforderte Nachhaltigkeitsaspekte auch eingehalten werden? Inwiefern können bzw. müssen Bieter Nachweise erbringen?
Patrick Scholz:
Natürlich ist es wichtig, bei der Entwicklung von Nachhaltigkeitsanforderungen auch deren Nachweisbarkeit zu berücksichtigen und sich bei Bedarf entsprechende Nachweise vorlegen zu lassen – beispielsweise mit Gütezeichen. Wir versuchen im Bereich Nachhaltigkeit ausschließlich Anforderungen zu stellen, die mit Hilfe eines klar definierten qualitativen Nachweises erbracht werden können, alternativ durch die Vorlage eines Konzepts.
Vergabe Insider:
Aus welchen Gründen wurde das Nachhaltigkeitslabel „Cradle to Cradle“ eingesetzt – statt beispielsweise des Blauen Engels?
Patrick Scholz:
Cradle to Cradle (C2C) verfolgt aus unserer Sicht aktuell als einziges Siegel einen wirklich ganzheitlichen Nachhaltigkeits- und Qualitätsansatz auf Produktebene. Die C2C Prinzipien zeigen das Ziel auf, das es für jedes einzelne Produkt zu erreichen gilt. Außerdem verfolgt C2C den positiven Ansatz, Dinge gut zu machen – statt nur weniger schlecht. Ich bin davon überzeugt, dass die Verwendung des richtigen Narrativs ein entscheidender Treiber sein kann für die anstehende Transformation hin zu einer echten Kreislaufwirtschaft. C2C erzählt positive Geschichten und sorgt dafür, dass sich mehr Menschen für das Thema Nachhaltigkeit begeistern.
Natürlich lässt sich der Bedarf einer Stadtverwaltung bei weitem nicht mit C2C Produkten decken; Daher nutzen wir auch andere unabhängige Gütezeichen wie den Blauen Engel oder Gütezeichen des Fairen Handels.
Vergabe Insider:
Haben oder hatten Sie schon mal Schwierigkeiten mit einer zu geringen Bieterzahl aufgrund zu hoher Nachhaltigkeitsanforderungen?
Patrick Scholz:
Nein. Zwar hat jeder öffentliche Auftraggeber immer wieder damit zu kämpfen, gute Angebote zu bekommen, allerdings stellen hierbei unsere Nachhaltigkeitskriterien bisher kein Hindernis dar. Es kommt immer darauf an, wie gut man den Markt kennt und dass man die Anforderungen bezüglich Nachhaltigkeit nicht am Markt vorbei stellt. Wir fordern also nichts, was der Markt nicht leisten kann. Vielmehr versuchen wir, auf Basis von Bewertungskriterien Anreize zu formulieren und besonders nachhaltige Leistungen zu belohnen. Eine intensive Markterkundung ist auf jeden Fall Grundvoraussetzung, um gute Vergabeunterlagen zu erstellen und dann auch ausreichend gute Angebote zu bekommen. Mit den Nachhaltigkeitskriterien an sich hat das aber nichts zu tun.
Vergabe Insider:
Wie gelingt besonders nachhaltig beschaffenden öffentlichen Auftraggebern die Implementierung?
Patrick Scholz:
Meiner Erfahrung nach sind die besonders nachhaltig beschaffenden Kommunen diejenigen, die einen politischen Rückhalt in der Verwaltung haben, entweder über eine Entscheidung der Verwaltungsspitze oder einen Gemeinderatsbeschluss. Darüber hinaus ist festzustellen, dass der Prozess vor allem dort gut umgesetzt wird, wo Personalkapazitäten für diesen Bereich eingesetzt werden. Immer mehr Bundesländer, aber auch Städte und Gemeinden, setzen eigene Kompetenzstellen für nachhaltige Beschaffung ein. In vielen Fällen führt dies außerdem dazu, dass die strategische Ausrichtung der Beschaffungsstruktur generell optimiert wird, was sich auch positiv auf die Wirtschaftlichkeit auswirkt. Auf diese Weise lohnt sich der Einsatz einer internen Kompetenzstelle für viele öffentliche Auftraggeber gleich doppelt.
Vergabe Insider:
Wie gelingt es Ihnen, auf dem aktuellen Stand zu bleiben, was Nachhaltigkeit in der Beschaffung angeht?
Patrick Scholz:
Die nachhaltige Beschaffung steckt zwar immer noch in den Kinderschuhen, aber der politische Wille, dies zu ändern und deren Potenziale zu nutzen, ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. So gibt es mittlerweile zahlreiche Netzwerke, Veranstaltungen, Hilfestellungen, Beratungsstellen und Forschungseinrichtungen, die sich damit befassen.
Vergabe Insider:
Inwiefern profitieren öffentliche Auftraggeber von nachhaltiger Beschaffung?
Patrick Scholz:
Eine nachhaltige Beschaffung kann viele positive Auswirkungen für öffentliche Auftraggeber haben: Zum Beispiel kann sich eine konsequente nachhaltige Beschaffung langfristig positiv auf den Haushalt auswirken. Immer mehr Studien zeigen, dass nachhaltige Produkte in vielen Fällen geringere Lebenszykluskosten verursachen als nicht nachhaltige Produkte. Wer also konsequent auf eine nachhaltige Beschaffung setzt, kann sich damit wirtschaftliche Vorteile für die Zukunft sichern.
Darüber hinaus hat eine nachhaltige Beschaffung offensichtlich zahlreiche positive soziale und ökologische Effekte: Sie schont Klima, Umwelt und Rohstoffe, was sich auch positiv auf die menschliche Gesundheit und natürlich die soziale Gerechtigkeit auswirkt.
Neben diesen offensichtlichen Vorteilen gibt es allerdings noch weitere für öffentliche Auftraggeber. Durch eine konsequente Nachfrage innovativer, nachhaltiger Produkte, profiliert man sich auch selbst als attraktiven Innovations-Standort für Unternehmen und Arbeitskräfte. Nicht zuletzt können durch die frühzeitige Substitution umweltschädlicher Produkte unmittelbare Gewinne an Lebensqualität für die Bürger:innen geschaffen werden, beispielsweise durch den Austausch von Dieselbussen durch Elektrobusse, durch ökologische Quartiersgestaltung, nachhaltige Bauprojekte usw.
Vergabe Insider:
Aus Ihrer Erfahrung in der Zusammenarbeit mit anderen Kommunen: Ist davon auszugehen, dass zukünftig weitere öffentliche Auftraggeber auf nachhaltige Beschaffung umstellen?
Patrick Scholz:
Absolut. Das Interesse anderer Kommunen ist in den letzten Jahren extrem gestiegen. Auch das Wissen über den positiven Nutzen auf ökologischer und sozialer, aber auch auf ökonomischer Ebene nimmt von Tag zu Tag zu und macht die Implementierung einer nachhaltigen Beschaffung für immer mehr öffentliche Auftraggeber interessant. Natürlich ist auch ein deutlicher politischer Druck zu spüren, der mit dem Regierungswechsel in Berlin noch einmal an Fahrt aufnehmen könnte. Darauf sollten öffentliche Auftraggeber vorbereitet sein und proaktiv handeln.