Es wird konkret: Nachhaltigkeit in Beschaffungsprozessen
Wie die Neuregelungen der AVV Klima in praktische Anwendung gebracht werden können
Am 15. und 16. November traf sich das „Who is who” aus den Bereichen Logistik und Beschaffung aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zum Austausch in Berlin.
Das Problem ist bekannt…
Die letzte UN-Klimakonferenz in Glasgow blieb erneut hinter den Erwartungen vieler zurück. Auf europäischer Ebene setzte man sich unter der deutschen Ratspräsidentschaft das Ziel, als Kontinent klimaneutral zu werden. Nun, auch hier sieht die Bilanz eher ernüchternd aus, doch wie Referent Andreas Haak von Denton Europe LLP es im Panel „Klimaschutz und Nachhaltigkeit“ zusammenfasste: „…zumindest die Bedeutung des Klimaschutzes ist mittlerweile bekannt.“
So auch in der öffentlichen Beschaffung. Doch deren Marktmacht wird noch nicht besonders effektiv eingesetzt, um Klimaschutzziele proaktiv voranzubringen. Darüber referierten und diskutierten Dr. Katharina Knapton-Vierlich als Vertreterin der Europäischen Kommission, Anja Mager vom Bundesministerium für Umwelt (BMU), Markus Häfner von TanaChemie GmbH / Werner und Mertz Professional, sowie Prof. Dr. Michael Eßig als Vertreter der Universität der Bundeswehr München sowie in seiner Funktion als Kongresspräsident der Beschaffungskonferenz.
…und es ist höchste Zeit zu handeln!
Anja Mager vom BMU stellte dabei die Neuerungen vor, die im Rahmen der neuen Verwaltungsvorschrift für klimafreundliche Beschaffung (AVV) ab dem 1. Januar 2022 deutschlandweit in Kraft treten werden. Diese sollen im Beschaffungswesen erreichen, was das nationale Klimaschutzgesetz seit 2019 allein nicht geschafft hat: Nachhaltigkeit nicht nur theoretisch zu verankern, sondern konkret anwendbar zu machen – nicht als optionales „Add-On“ – sondern als neue Norm.
Was kommt mit der neuen AVV Klima?
Dafür legt die AVV unter anderem fest, dass Beschaffungsstellen künftig vor der Beschaffung eine Prognose abgeben müssen, wieviel CO2 Emissionen während des gesamten Lebenszyklus der zu beschaffenden Leistung anfallen. Genauso muss berechnet werden, welchen „Zweitpreis“ diese Leistung hat, sprich, welche Kosten durch die Kompensation dieser Belastungen im Emissionshandel mindestens anfallen würden.
Ebenfalls neu ist die Verpflichtung zu prüfen, ob eine Neuanschaffung überhaupt notwendig ist oder ob Gebrauchtkauf, Miete oder Leasing nicht auch eine valide Alternative sein könnten. Wie Anja Mager darstellte, war es bisher faktisch oft so, dass Bedarfsträger und Beschaffungsstellen sich gegenseitig die Verantwortung zugeschoben haben. Dem soll künftig entgegengewirkt werden, indem die Beschaffungsstellen darauf hinweisen, dass nach der AVV Klima beschafft werden soll. Bedarfsträger müssen ihrerseits „nicht klimafreundliche Bedarfe“ dokumentieren und begründen.
In der Leistungsbeschreibung sollen außerdem Energieeffizienz und Siegel, die die Nachhaltigkeit eines Produktes oder einer Leistung nachweisen, eingefordert werden.
Auch für die Zuschlagskriterien gibt es eine Neuregelung: Hier müssen die Kosten für den gesamten Lebenszyklus einer Leistung berücksichtigt werden, inklusive der durch den CO2 Ausstoß verursachten „Schattenkosten“.
Schon vor dem Inkrafttreten der AVV Klima gab und gibt das Vergaberecht die Möglichkeit, Nachhaltigkeitskriterien im Beschaffungsprozess einen höheren Stellenwert einzuräumen, wie Dr. Katharina Knapton-Vierlich als Vertreterin der Europäischen Kommission in ihren Ausführungen darlegte. Aus europäischer Sicht begrüßte sie die Maßnahmen, die diesem Anspruch einen größeren Nachdruck verleihen, wie die AVV Klima. Für die folgende Periode der französischen Ratspräsidentschaft erwartete sie eine Weiterentwicklung dieser Prozesse.
Umsetzungsdefizite beheben: Mit konkreten Hilfestellungen.
Markus Häfner, Geschäftsführer von TanaChemie GmbH (der professionellen Sparte von Werner und Mertz) sah den Grund dafür, dass Nachhaltigkeit bisher keine zentrale Rolle in Vergabeverfahren eingeräumt wurde vor allem darin, dass es hoch komplex ist, die relevanten Prozesse abzubilden und korrekt zu berechnen. Um hier tatsächliche Transparenz herzustellen, brauche es vor allem eine klare Methodik, an der sich Beschaffer orientieren können. Der Umweg, anfallende Klimabelastung durch Zahlungen zu „kompensieren“, könne selbstverständlich nur als Krücke betrachtet werden, die das eigentliche Problem nicht konsequent aushebeln kann. Das aber müsse das Ziel sein, um in dem immer kleiner werdenden Zeitfenster tatsächliche Klimaneutralität zu erreichen.
Genau an dieser Stelle setzt das Ausschreibungstool namens „N-O-Mat“ an, das von der Universität der Bundeswehr München zur Unterstützung einer nachhaltigen Beschaffung von Reinigungsleistungen entwickelt wurde. Mit dem Excel-basierten Instrument werden öffentliche Einkäufer von Reinigungsleistungen mit Fragen dazu angeleitet, das Implementierungsdefizit in Bezug auf Nachhaltigkeit zu schließen.
Das Tool stelle keine Konkurrenz zu bestehenden Leitfäden dar, sondern diene vielmehr als „Ideengenerator“, um die Verantwortlichen zu befähigen, eine nachhaltige Ausschreibung aufzusetzen.
Tool für nachhaltige Beschaffung hier zum Test verfügbar
Die Ausschreibungshilfeist hier bereits in der Betaversion verfügbar. Wie Prof. Dr. Eßig betonte, werden inhaltliche Anmerkungen, Kritik und Wünsche von öffentlichen Beschaffern von Reinigungsleistungen ausdrücklich willkommen geheißen, um das Instrument zu verfeinern und für die praktische Anwendung zu optimieren.
Frei nach dem Motto „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“ möchten wir daher auch noch mal dazu einladen, diese Hilfestellung zu testen. Rückmeldungen werden von der Uni BW-M gerne per E-Mail an alessa.kozuch@unibw.de entgegengenommen.
Mittlerweile steht die erprobte, optimierte und finale Version des N-O-Mats hier kostenfrei zum Download zur Verfügung.