Aktualität nachhaltige Beschaffung – So präsent ist die Thematik in der Forschung
Das Thema „ökologische Nachhaltigkeit“ ist derzeit in aller Munde. Dabei ist es keineswegs neu: Denn im Zusammenhang mit öffentlicher Beschaffung taucht Nachhaltigkeit seit etwa 2008 verstärkt in der Forschung auf. Doch schon zwischen 1977 und 1990 wurden erste Beiträge zur umweltfreundlichen Beschaffung publiziert wie Zsidisin und Siferd im Jahr 20011 in ihrer Analyse der wissenschaftlichen Literatur zur umweltfreundlichen Beschaffung gezeigt haben.
Steigendes Forschungsinteresse beim Thema nachhaltige Beschaffung
Die Forschungsintensität hat seitdem kontinuierlich zugenommen – allerdings mit wechselndem Forschungsschwerpunkt. Die ersten Beiträge beschäftigten sich unter anderem mit dem Einfluss von Profit auf Schrottmanagement, mit den Auswirkungen von Umweltbestimmungen auf die Betriebsgröße sowie der Effektivität von Umweltmanagement in Industrien2. Seit dem Jahr 2011 hat sich das Forschungsinteresse noch mal gesteigert und zugleich gewandelt, was sich möglicherweise auf die ungelösten Umweltprobleme zurückführen lässt.
Von nachhaltigen Lieferketten hin zur Kreislaufwirtschaft
Die seither publizierten Beiträge adressieren verschiedenste Schwerpunkte, wie beispielsweise das nachhaltige Lieferkettenmanagement3, also die Koordination von Lieferketten unter Berücksichtigung ökologischer, ökonomischer und sozialer Aspekte. Tseng et al. (2019) untersuchten hierzu aktuelle Trends sowie künftige Herausforderungen, während Golicic und Smith (2013) die Wirkung nachhaltiger Supply Chain-Practices auf die Performance analysierten. Auch die Auswirkungen von Nachhaltigkeit auf den Erfolg sowie die Beschaffung wurden genauer geprüft, beispielsweise von Zimmermann und Foerstl (2014). Ein weiterer Schwerpunkt in der Forschung war die Auswahl der Lieferanten4. So umfasst die Arbeit von Zimmer et al. (2016) beispielsweise 143 Publikationen zur Lieferantenauswahl und -entwicklung.
Aktuellere Arbeiten widmen sich nun jedoch verstärkt dem Feld der Kreislaufwirtschaft , wie zum Beispiel die Untersuchung von Kirchherr et al. (2017), die 114 Definitionen der Kreislaufwirtschaft5 zusammenführt. Bereits zuvor verknüpfte Helen Walker in einem Review von 2008 die öffentliche Beschaffung mit ökologischer Nachhaltigkeit, indem sie die Treiber und Barrieren einer Implementierung grüner öffentlicher Beschaffung untersuchte. Darüber hinaus beschäftigte sie sich im Laufe der Jahre unter anderem mit der Entwicklung der nachhaltigen öffentlichen Beschaffung in Vergangenheit und Zukunft sowie den zugrunde liegenden Theorien und der Entscheidungstheorie in nachhaltigen Lieferketten6. Dem öffentlichen Sektor in Verbindung mit Nachhaltigkeit widmeten sich ebenso Prier et al. (2016), Cheng et al. (2018) sowie Sönnichsen und Clement (2020). Gegenstand dieser Untersuchungen waren die Implementierung von Practices und Policies, zukünftige Trends sowie die Weiterentwicklung zur Kreislaufwirtschaft. Auch die Literatur zur öffentlichen grünen Beschaffung behandelt grundsätzlich dieselben Themenbereiche, jedoch mit einem besonderen Fokus auf Policies. Dabei fällt auf, dass der öffentliche Sektor in diesem Hinblick lange der Privatwirtschaft hinterher hing.
Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit ökologisch nachhaltiger Beschaffung ist also nicht neu. Lediglich das Forschungsinteresse hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen und sich verstärkt von der grünen hin zur kreislauforientierten Beschaffung entwickelt. Hierfür können mehrere Gründe genannt werden: von der steigenden Dringlichkeit über die Folgen langjähriger Umweltverschmutzung bis hin zu daraus resultierenden politischen Entwicklungen und bisher ungelösten Fragestellungen.
Aktuell dominierend in der Forschung zur nachhaltigen Beschaffung: die Kreislaufwirtschaft
Ein noch recht junges, aber dennoch aktuell dominierendes Thema in der wissenschaftlichen Literatur zur nachhaltigen Beschaffung ist die Kreislaufwirtschaft beziehungsweise die kreislauforientierte Beschaffung 7. Dabei kann Kreislaufwirtschaft als ökonomisches System verstanden werden, das den „end-of-life“-Gedanken mit den Konzepten der Wiederverwendung und des Recyclings ersetzt. Ziel der Kreislaufwirtschaft ist es, langfristig ökologische Qualität, soziale Gleichheit und ökonomischen Wohlstand zu gewährleisten 8. Eine kreislauforientierte Beschaffung versucht also Materialkreisläufe zu schließen, um sowohl während als auch am Ende der Verwendung den größtmöglichen Nutzen daraus zu ziehen.9
Nach einer aktuellen Untersuchung von Sönnichsen sind kreislaufwirtschaftliche Aspekte in Lieferketten jedoch nicht immer einfach und schnell zu realisieren. Gründe dafür stellen die Organisationsgröße und die zum Teil höheren Anschaffungskosten dar. Ebenso kann eine nachhaltige Beschaffung mit einigen Herausforderungen verbunden sein. Für die Umstellung von linearer auf kreislauforientierte Beschaffung braucht es insbesondere engagierte Beschaffer und Entscheidungsträger sowie entsprechendes Know-how. Die Umsetzung einer nachhaltigen Beschaffung wird zudem erleichtert, wenn die entsprechende Organisation über genügend Personalkapazitäten verfügt, die eine ausreichende Auseinandersetzung mit der Thematik ermöglichen. Ein wichtiger Punkt ist hierbei die persönliche Überzeugung der Entscheidungsträger, dass sich eine Investition in kreislauffähige Produkte auszahlt. Zudem lohnt es sich meist, über unterstützende Tools zu verfügen. 10
Aufkommende Themenschwerpunkte und Forschungslücken
Wurden in der Forschung zur nachhaltigen Beschaffung anfangs vor allem die Voraussetzungen und Vorteile untersucht, richtet sich die Aufmerksamkeit nun verstärkt auf die Implementierung einer nachhaltigen oder sogar kreislauforientierten Beschaffung. Dazu gehören beispielsweise Methoden, Modelle der Entscheidungsfindung oder die Auswirkungen auf die Performance11. Doch es gibt auch Forschungslücken: zum Beispiel im Beziehungsmanagement zu den Lieferkettenpartnern12. Ähnlich sieht es bei Untersuchungen zu politischen Instrumenten und dem Servicesektor aus. Darüber hinaus wird nicht überall gleichmäßig geforscht13. Während im asiatischen14 Raum bereits zahlreiche Untersuchungen zur nachhaltigen Beschaffung durchgeführt wurden, besteht in Deutschland noch Nachholbedarf.
Corona-Pandemie und Nachhaltigkeit in der öffentlichen Beschaffung
Das Jahr 2020 wie auch der Beginn des Jahres 2021 wurden stark durch die Corona-Pandemie geprägt. Die Auswirkungen sind weltweit in vielen Bereichen zu spüren – das gilt auch für die nachhaltige Beschaffung und deren Forschung. Obwohl sich die Pandemie bisher eher positiv auf die Umwelt auszuwirken scheint, zeigten vergangene Krisen jedoch, dass auf die Phasen eines wirtschaftlichen Tiefs der „crisis rebound effect“ folgen kann, wenn der Fokus nur auf der sozialen und ökonomischen Nachhaltigkeit liegt und im Prozess der Wiederherstellung der Wirtschaftskraft und des Wohlstandes keinerlei Rücksicht auf ökologische Belange genommen wird15.
Aktuelle Studien beschäftigen sich deshalb mit ökologischer Nachhaltigkeit im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie, wie beispielsweise die von Sarkis (2020), die sich mit den möglichen Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit in Lieferketten beschäftigte. Die durch die Corona-Pandemie bedingte Reduktion des Flugverkehrs, der zurückgehende
Tourismus und die Rückkehr der Bevölkerung zu Aktivitäten in der Natur schonen die Umwelt, sodass die EU die Klimaziele für 2020 sogar übertreffen konnte. Dabei könnten sich einige Aspekte der Umweltschonung auch langfristig durchsetzen. Denn diverse Organisationen sahen sich gezwungen, auf neue Technologien, digitale Medien und Homeoffice umzustellen, was neue Möglichkeiten eröffnet hat16.
Auf der anderen Seite taten sich aber auch neue Herausforderungen auf. So musste die Beschaffung auf schnellem Wege notwendiges Material, wie zum Beispiel Desinfektionsmittel einkaufen, um eine Verbreitung der Pandemie zu verhindern. Ein lokaler Lieferant mit kurzen Transportwegen zahlte sich hier ebenso aus wie die reibungslose Kommunikation und Zusammenarbeit in funktionierenden Lieferketten, die auch für die Implementierung nachhaltiger Beschaffung einen wesentlichen Erfolgsfaktor darstellt. Obwohl die zeitlichen Kapazitäten der öffentlichen Einkäufer insbesondere zu Anfang der Pandemie deutlich eingeschränkt waren, wurde versucht, das Thema der Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in der öffentlichen Auftragsvergabe weiter voranzutreiben17.
Fazit zur nachhaltigen Beschaffung in der Forschung
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Nachhaltigkeit in ihren verschiedenen Facetten nicht nur in den Medien, sondern auch in der wissenschaftlichen Literatur in hohem Maße präsent ist. Ein Defizit gibt es allerdings im Bereich der Implementierungsforschung, insbesondere im öffentlichen Sektor, welches auch den aktuellen Stand in der Praxis widerspiegelt. Dennoch ist die Kreislaufwirtschaft auf dem Vormarsch. Öffentliche Einkäufer sollten sich daher nicht durch pandemiebedingte Hürden von der Integration von Nachhaltigkeitskriterien abhalten lassen.
Quellen:
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